Körperspende

Seit wann gibt es freiwillige Körperspenden in Wien? Wie sieht die Entwicklung dieser Praxis aus? Wo wurden und werden Körperspenderinnen und -spender bestattet? Auf diese Fragen finden Sie, so dies aufgrund der Dokumentenlage möglich ist, in folgenden Kurzbeiträgen Antworten. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Personen ganz herzlich bedanken, die Ihren Körper der Abteilung für Anatomie zur Mehrung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen Lehre zur Verfügung stellten und stellen.

Freiwillige Vermächtnisse

Bis in die 1950er und 1960er Jahre wurden zur Bearbeitung von wissenschaftlichen Fragestellungen und zur Ausbildung von Studierenden unter anderem Körper von Verstorbenen, die keine Angehörigen hatten, seziert. Diese wurden der Anatomie von Städten und Gemeinden zur Verfügung gestellt. {i}

Bereits in der Ersten Republik war es allerdings auch möglich, freiwillig und selbstbestimmt seinen Körper dem damaligen Anatomischen Institut in Wien zu vermachen. {iii} Interessentinnen und Interessenten traten in dieser Zeit aktiv an das Institut heran und vereinbarten eine Körperspende mit der Institutsleitung. Nach dem Österreichischen Ständestaat und dem nationalsozialistischen Regime gab es in der Zweiten Republik allerdings Unklarheiten zur Gültigkeit der in der Ersten Republik geschlossenen Körperspendenvereinbarungen. {iv} In den 1960er Jahren kam es zu einer Abnahme der Zahl der für Wissenschaft und Lehre verfügbaren Körper. Gleichzeitig stieg die Zahl der Studierenden. Dadurch entstand ein dramatischer Mangel an Körperspenden, der die ausgezeichnete Qualität der Ärzteausbildung zu gefährden begann. {v}


Vom damaligen Institutsleiter und Professor für Anatomie, Heinrich Hayek, wurden daher verschiedene Maßnahmen gesetzt, um diesem Mangel an für die anatomische Sektion zur Verfügung stehenden Körpern zu begegnen. In Fernsehen, Rundfunk und Zeitung wurden Aufrufe zur freiwilligen Körperspende gestartet und ein modernes System zur Verwaltung von freiwilligen Vermächtnissen etabliert. Ab 1967 wurden „Letztwillige Verfügungen“ mit der Schreibmaschine im Durchschlag getippt und an Personen, die sich zur Körperspende entschlossen hatten, versandt. Parallel wurden unkonventionelle Wege eingeschlagen, um Körperspendern den Akt des Vermächtnisses zu erleichtern. Beispielweise wurde dem Artikel „Ein Ehrengrab für die ´Toten der Wissenschaft´“ vom 27. 10. 1967 in der Tageszeitung Kurier ein größenreduziertes Formular „Letztwillige Verfügung“ beigefügt. Es konnte ausgeschnitten und ausgefüllt ans Sekretariat des Anatomische Instituts geschickt werden. {vi} Die breite Information der Bevölkerung bewirkte in der Folge eine Zunahme der Bereitwilligkeit zur Körperspende. {v} Dadurch konnte trotz der in den Folgejahren explodierenden Studierendenzahlen die Sezierkurse weiterhin durchgeführt werden.

Parallel zu den Aufrufen zur Körperspende wurde von Hayek bei der Stadt Wien um die Errichtung einer "Anatomiegräber-Anlage" am Zentralfriedhof angesucht. Senatsrat Adametz gab diesem Ansuchen Ende Mai 1966 statt und das erste Ehrengrab der Anatomie wurde errichtet. {vii} Bereits am 24. Oktober 1967 konnte die Anlage eingeweiht werden. Sie wird bis dato von der Stadt Wien betreut und gepflegt. {viii}

Bis heute können aufgrund der Bereitschaft zur Körperspende an der Anatomie Wien Studierende selbstständig, aber unterstützt von Tutorinnen und Tutoren, in Gruppen von 6 Personen je einen Körper systematisch sezieren. Sie erarbeiten sich dabei nicht nur praktisch die menschliche Anatomie, sondern entwickeln zeitgleich ärztliche Grundfertigkeiten, präparatorische Fähigkeiten und ethische und soziale Kompetenzen. Durch die Möglichkeit, während der Sektion auch Präparate studieren zu können, die von Kolleginnen und Kollegen seziert wurden, kann die enorme Variationsbreite in der Struktur des menschlichen Organismus auf einzigartige Weise erfasst werden. Die Medizinische Universität Wien ist unter anderem durch dieses Angebot sowohl an ihre Studierenden als auch an Ärztinnen und Ärzte in der studentischen, aber auch in der postgraduellen Aus- und Weiterbildung eine der weltweit führenden Bildungsinstitutionen.



{i} Vgl. Ingrid Edelbacher, Gespendete Körper. In: Kurier, Ausgabe vom 29.04.2007, 44 mit Unbekannt, Ein Ehrengrab für die `Toten der Wissenschaft´. Für Leute, die sich verpflichtet haben, ihren Körper nach dem Tod dem Anatomischen Institut zu vermachen. In: Die "Presse", 27.10.1967, 4..
{iii} Vgl. Schreiben eines Körperspenders an Heinrich Hayek vom 13. August 1966 aus dem historischen Bestand des Anatomischen Instituts der Medizinischen Universität Wien.
{iv} Vgl. ibid.
{v} Vgl. Edelbacher, Gespendete Körper, 44.
{vi} Vgl. Historischer Bestand des Instituts für Anatomie der Medizinischen Universität Wien.
{vii} Vgl. Schreiben der Magistratsabteilung 43-Friedhöfe mit dem Betreff "Anatomie-Anträge" vom 19. Juli 1966 aus dem historischen Bestand des Anatomischen Instituts der Medizinischen Universität Wien.
{viii} Vgl. Niederschrift der Ansprache Heinrich Hayek bei der "Einweihung und Eröffnung der Gräberanlage des Anatomischen Instituts" am Wiener Zentralfriedhof vom 24.10.1967.

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Grab der Anatomie

Am 24. Oktober 1967 wurde das erste Ehrengrab der Anatomie Wien (Historisches Grab der Anatomie, Zentralfriedhof Tor 2, Gruppe 12F) von Heinrich Hayek ins Leben gerufen {i}. Ende 1975 wurde es geschlossen und ein neues, bis heute in Verwendung befindliches Ehrengrab wurde beim Tor 3, in der Gruppe 26, errichtet. {ii} Auch diese Grab- und Gedenkstätte wird dankenswerterweise zur Ehre der Körperspenden von der Stadt Wien sorgsam betreut, regelmäßig renoviert und engagiert gepflegt.

Bis 1997 wurden in dieser Grabanlage die Körper erdbestattet. Seit 1997 werden Urnenbestattungen nach Kremierung durchgeführt, um die Belastung der Umwelt durch Fixierlösungen zu reduzieren. {iii} Jährlich um Allerheiligen findet an dieser Grabanlage eine Gedenkveranstaltung statt. Sie soll die Personen, die sich zu einer Körperspende entschlossen haben, ehren und ihnen Dank erweisen. Auch soll die Veranstaltung die Angehörigen unterstützen, das Andenken an die Verblichenen zu bewahren. Mit Angehörigen christlicher Konfessionen wird jährlich auch eine ökumenische Messe gefeiert. Beide Veranstaltungen konnten 2020 aufgrund der Covid19-Pandemie leider nicht durchgeführt werden.

{i} Vgl. Kapitel „Freiwillige Vermächtnisse“
{ii} Vgl. Christine Imlinger, Für die Medizin ins Massengrab. In "Die Presse", Ausgabe vom 31. Oktober 2007, 11 mit Unbekannt, Ein Ehrengrab für die `Toten der Wissenschaft´. Für Leute, die sich verpflichtet haben, ihren Körper nach dem Tod dem Anatomischen Institut zu vermachen. In: Die "Presse", 27.10.1967, 4.
{iii} Vgl. Christine Imlinger, Für die Medizin ins Massengrab. In "Die Presse", Ausgabe vom 31. Oktober 2007, 11.

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Finanzierung

Bis 2004 waren Vermächtnisse weder für Personen, die ein Vermächtnis anstrebten, noch für die Anatomie kostenpflichtig. Im Artikel "Eine letztwillige Verfügung des jungen Franz von Sales über seinen Leichnam" von Curt Elze, welcher 1951 in der Münchener Medizinischen Wochenschrift erschien, schreibt der Autor jedoch von einer "weiterverbreiteten" Meinung, [...] man könne bei Lebzeiten seinen Körper einem anatomischen Institut verkaufen [...]". {i} Diese Vermutung dürfte wohl Resultat der bis zum Zweiten Weltkrieg in Wien gängigen Praxis gewesen sein, die freiwillige Körperspende an die anatomische Wissenschaft zu vergüten. {ii} Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde diese Praxis beendet, das Gerücht einer finanziellen Zuwendung für Körperspenden hielt sich jedoch trotz oftmaliger Dementi vonseiten des Anatomischen Instituts jahrzehntelang. {iii}


Ende 2004 musste im Rahmen der Neustrukturierung der Wiener Universitäten begonnen werden, einen Unkostenbeitrag von zukünftigen Körperspendern einzuheben. Ab 2005 wurde ein Beitrag von EUR 400,00, ab Oktober 2007 von EUR 450,00 beim Abschluss des Vermächtnisses in Rechnung gestellt. Im September 2015 musste der Beitrag auf EUR 990,00 erhöht werden. {iv} Die Beiträge helfen, die von der Abteilung für Anatomie vertraglich zugesicherte Übernahme der Kosten für Überstellung, Kremierung und Bestattung zu tragen. Sie können die anfallenden Kosten zwar nicht vollständig abdecken, sind aber für den Weiterbestand des Körperspendewesens unverzichtbar.

{i} Curt Elze, Eine letztwillige Verfügung des jungen Franz von Sales über seinen Leichnam. In: Münchener Medizinische Wochenschrift 49 (München 1951), 4.
{ii} Vgl. Autor unbekannt, „Engpässe bei anatomischer Ausbildung. Kein Geschäft mit dem Körper“. In: Arbeiter Zeitung vom 18. August 1980 (Wien 1980), 6.
{iii} Vgl. Christine Imlinger, Für die Medizin ins Massengrab. In "Die Presse", Ausgabe vom 31. Oktober 2007 (Wien 2007), 11 mit Autor unbekannt, Seinen Körper kann man der Anatomie vermachen, aber nicht verkaufen. In: Kurier (Wien 1979).
{iv} Vgl. Historischer Bestand des Instituts für Anatomie der Medizinischen Universität Wien.

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